Vollhöfner Wald



Der Völli ist noch nicht gerettet.

Im Hamburger Süden, zwischen Waltershof, Altenwerder und Moorburg erstreckt sich entlang der Alten Süderelbe auf einem alten Spülfeld der Vollhöfner Wald. Es handelt sich um ca. 45 ha wild gewachsenen Laubmischwald, ein Pionierwald, der seit etwa 60 Jahren ohne menschlichen Einfluss gewachsen ist – eine im norddeutschen Raum einzigartige Wildnis am Rande der Großstadt.

Der Wald ist Teil des Biotopkorridors, der von den Finkenwerder Westerweiden entlang der Alten Süderelbe bis zum Moorgürtel reicht. Dieser Korridor aus zusammenhängenden Grünflächen im sonst durch Industrie und Infrastruktur zerteilten Süderelberaum ermöglicht Tieren die Wanderung zwischen den Naturschutzgebieten. Der Wald bietet seltenen Arten einen Rückzugsort. Mit seinem hohen Anteil an Totholz ist er vielfältiger Lebensraum für Vögel, Insekten und Amphibien. Vögel und Fledermäuse nutzen ihn als nahrungsreichen Zwischenstopp auf Ihrem Flug von und in die Winterquartiere.

Im Mai 2016 wurde das Gebiet vom Hafenerweiterungsgebiet in Hafennutzungsgebiet überführt und damit dem konkreten Hafenausbau zur Verfügung gestellt. Die Naturschutzverbände BUND und NABU haben dagegen Klage eingereicht, die allerdings bis heute nicht abschließend verhandelt wurde. Der Hamburger Senat plante, auf dem Gebiet des Vollhöfner Waldes Logistikhallen entstehen zu lassen. Dazu sollte das jetzige Waldgebiet durch Aufschüttung und Flächenversiegelung kosten- und ressourcenintensiv erschlossen werden. Damit würden diese Flächen dem Biotopverbund zwischen der Alten Süderelbe und Moorgürtel verlorengehen – ein Biotopverbund, der zudem bald von der A26 zerschnitten sein wird.

Im Spätsommer 2019 verdichteten sich die Anzeichen für eine anstehende Zerstörung des Waldes und die Realisierung einer weiteren Industriebrache [1] , woraufhin sich die Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald gründete. Ihr Ziel ist es, den Vollhöfner Wald dauerhaft zu schützen. Das bedeutet eine Herauslösung aus dem Hafenerweiterungsgebiet und Zuordnung zum Biotopverbund Alte Süderelbe. Ende August wurden die ersten sonntäglichen Waldspaziergänge als naturkundliche Führungen durch den Vollhöfner Wald durchgeführt. An diesen nahmen zum Teil über 200 Personen teil. So konnte zahlreichen Menschen der Wald nahegebracht werden. Und viele staunten auf Grund des bisher unbekannten Urwaldes direkt vor ihrer Haustür.

Der NABU reagierte ebenfalls und startete im Internet eine E-Mail-Aktion zum Schutz des Vollhöfner Waldes. Mit deren Hilfe wurden in kürzester Zeit über 7.000 E-Mails an den ersten Bürgermeister verschickt. Dieser deutliche gesellschaftliche Protest gegen das Vorhaben des Senates bewegte bereits Ende September den Umweltsenator Jens Kerstan dazu, ein Moratorium der Fällung bis zu den Bürgerschaftswahlen im Februar 2020 zu verkünden. Dieser Schritt verschaffte den Akteur*innen ein Aufatmen.

Im Herbst 2019 setzten sich Aktivist*innen mit der Errichtung eines Baumhauses für den Erhalt des Waldes ein. Nach einer großangelegten Räumung durch die Polizei war der Wald über Hamburgs Grenzen hinaus bekannt. Allerdings wurde er daraufhin für die Öffentlichkeit gesperrt. Die Waldspaziergänge der Klimaschutzinitiative wurden durch Kundgebungen am Eingang zum Wald ersetzt. Nach der Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2020 schrieben die Koalitionsparteien des neuen, alten rot-grünen Senats den Erhalt des Waldes in den Koalitionsvertrag – unter der Bedingung, dass stattdessen andere Flächen für die Hafennutzung erschlossen werden. Hierfür vorgeschlagen wurden die letzten Grünflächen in Altenwerder.

Wir als Klimaschutzinitiative sehen diese schnelle Entwicklung vom unbekannten Gestrüpp zu einem, zumindest dem Sprachgebrauch nach, anerkannten Wald als einen Erfolg des breiten gesellschaftlichen Protestes gegen die Pläne des Senates. Allerdings sichern sie noch nicht den langfristigen Erhalt des Waldes. Dies ist nur möglich, wenn der Wald aus dem Hafenerweiterungsgebiet herausgelöst, vollständig dem Biotopverbund zugeordnet und jeglicher Nutzungsabsicht entzogen wird.




[1] Die ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft mbH, die im Auftrag der Hamburg Port Authority AöR (HPA) die industrielle Erschließung des Gebietes betreut, gab noch 2022 als voraussichtlichen Baustart für das „Gewerbegebiet Altenwerder West“ an. Auf wiederholtes Nachfragen bei Verantwortlichen der Stadt gab es keine Informationen oder Hinweise darauf, dass der Wald nicht gefällt würde.



Kleine Anfrage zum Vollhöfner Wald

In einer Kleinen Anfrage an den Senat hat sich der LINKEN-Abgeordnete Stephan Jersch (ansehen als PDF) unlängst nach dem Sachstand bei der Unterschutzstellung des Vollhöfner Waldes erkundigt. Zur Erinnerung: Im Koalitionsvertrag 2020 wurde vereinbart, den Wald aus dem Hafengebiet (zu dem er nach wie vor gehört) herauszunehmen und unter Naturschutz zu stellen. „Stattdessen sollen andere Flächen in entsprechender Größe für die Hafennutzung aktiviert werden“.

Die Antwort des Senats lässt nun deutlich erkennen, dass seitdem offenbar nicht viel passiert ist:

„Die Hamburg Port Authority AöR (HPA) evaluiert seit Mitte des Jahres 2020 mögliche Flächen, die in eine hafenwirtschaftliche Nutzung gebracht werden könnten. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Eine Aussage, zu wann eine Flächenaktivierung realistisch ist, ist insofern auch in Bezug auf die Ersatzflächen derzeit nicht möglich.“

Zwar bekundet der Senat seine Absicht, den Wald weiterhin nicht roden zu wollen und die Unterschutzstellung bis zum Ende der Legislaturperiode durchzuführen. Im Hinblick auf die Dauer des Schutzverfahrens aber, das ja auch eine Bürgerbeteiligung, öffentliche Auslegung und die Mitwirkung der Naturschutzverbände vorsieht, ist die Sorge nicht ganz unbegründet, dass die HPA auch noch in den nächsten drei Jahren erfolglos weiter evaluieren wird und es dann vor der nächsten Wahl 2025 doch zu keinem Naturschutzgebiet mehr kommt.

Denn eigentlich benötigt der Hafen, allen Prognosen zu den zukünftigen Umschlagszahlen zufolge, auf absehbare Zeit keine Erweiterungsflächen mehr. Stattdessen sind schon derzeit nicht wenige bestehende Flächen ungenutzt, und selbst so ambitionierte und weitgediehene Projekte wie die Westerweiterung Eurogate stehen auf der Kippe, weil ihre Planung bereits auf völlig unrealistischen Annahmen beruhte.

Die Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald, die sich seit Jahren für den Erhalt dieses einzigartigen Waldes einsetzt, fordert deshalb den Senat auf, die Suche nach „Ersatzflächen“, deren Erschließung mit einer weiteren Naturzerstörung und Bodenversiegelung verbunden wäre, aufzugeben und das Schutzverfahren unverzüglich einzuleiten. Es muss möglich sein, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, eine solche Entscheidung auch dann zu treffen, wenn im Koalitionsvertrag sachlich nicht mehr begründbare Vorbehalte genannt sind, so die Klimaschutzinitiative. Denn im Koalitionsvertrag steht auch:

„Die Koalitionspartner setzen auf den Erhalt unversiegelter Flächen und naturnaher sowie klimarelevanter Böden. (…) Die Koalitionspartner setzen sich für den vorsorgenden Schutz der Böden als natürliche Ressource ein.“

Vollends unverständlich ist nach Ansicht der Klimaschutzinitiative allerdings, weshalb seit einigen Wochen wieder verstärkt die Polizei durch den Wald patrouilliert und sogar – mitten in der Brutzeit – minutenlang ein Polizeihubschrauber tief über dem Wald steht. Auch danach hatte Stefan Jersch (DIE LINKE) gefragt.

Der Senat begründet den Polizeieinsatz in seiner Antwort damit, dass „in der Nähe der Vollhöfner Weiden im Bereich Moorburger Hinterdeich/Moorburger Kirchdeich“ Gegenstände deponiert worden seien, die „zum Bau von Unterkünften oder Plattformen geeignet“ gewesen seien. Dieser Ort liegt allerdings mehr als 4 km von „den Vollhöfner Weiden“ entfernt, so dass die Begründung für den aufwändigen Einsatz, zu dem sich der Senat „aus einsatztaktischen Gründen“ nicht weiter äußern möchte, reichlich Rätsel aufgibt.

Die Klimaschutzinitiative fordert, dass der Wald durch die Behörden bereits vor der formellen Unterschutzstellung als schutzwürdiges Gebiet behandelt und die sensible Fauna und Flora nicht weiter durch unnötiges und offensichtlich übereifriges polizeiliches Handeln beeinträchtigt wird.



Videos zum Vollhöfner Wald

Die NDR NaturNah Doku "Der vergessene Wald: Hamburgs letzte Wildnis" findet ihr auf YouTube.
Unkommentierte Eindrücke aus dem Vollhöfner Wald könnt ihr in diesem Video auf YouTube bekommen.